Dieser Cartoon hat uns vor Ostern amüsiert – und er steht wahrscheinlich symptomatisch für den Verlust realer Erfahrungen.
Die Qualität echter Erfahrungen, die Erkenntnisse beim Suchen und die Lust, Ungewissheiten auszuhalten und wie das miteinander zusammenhängt erfahren Sie in diesem Blog.
Da hat man viele Follower auf Facebook, aber wenige reale Freunde. Da wird getwittert und gepostet, aber wirkliche Kommunikation, also echtes Sprechen mit den Menschen, die einem gerade gegenüber sitzen, findet nicht statt. Virtuelles Wissen wird den echten Erfahrungen und Erlebnissen vorgezogen. Möglicherweise ist es die Angst vor Enttäuschung oder Ungewissheit.
Die Remida ist hier ein Gegenmodell mit einem unausgesprochenen Plädoyer für das Sich-Einlassen. Hier begegnet man Materialien, die man gar nicht gesucht hat. Um in der Remida etwas zu finden, braucht es keine Suchmaschine, sondern seine Sinne. Augen, um die Dinge zu sehen, Farben und Formen zu erkennen. Und vielleicht auch, um den Hinweis zu lesen, es nicht anzufassen. Nach dem „Ooah, schade!“ kommt dann die Fähigkeit der Imagination zum Zuge. Die Kunst, sich etwas vorzustellen – Kopfkino. Und die Blicke werden intensiver, man schaut noch mal genauer hin. Wenn man ein Material erstmal in der Hand hat, wird der Tastsinn gefordert. Unser größtes Sinnesorgan, die Haut, nimmt Oberflächenbeschaffenheit, Temperatur und Formen wahr. Im Idealfall entstehen dann im Kopf Assoziationen, es tauchen Erinnerungen und Geschichten auf. Es entstehen dann auch die Wege vom Material zur Idee. Man kommt ins Ausprobieren und erfährt viel über die Eigenschaften des Materials. Denn meistens ist es doch anders herum: Man hat eine Idee oder Vorlage und sucht dann die erforderlichen Materialien zusammen.
„Wo ist denn…?“ und „Haben Sie…“ sind Fragen, auf die wir nicht antworten können, weil die Philosophie der Remida das Finden ohne zu suchen vorsieht, das Neuentdecken. Wenn man Augen – und Geist – öffnet, entdeckt man die wunderlichsten Dinge. Man findet die Diarähmchen – und entdeckt Gesprächsanlässe, man sieht mit einem Mal in den Fliesenmustern die Mathewerkstatt und staunt über die Farbspiele der Folienreste. Was für ein Genuss an Überraschungen! Welch eine Begeisterung!
Trauen Sie sich als PädagogIn selbst in die Rolle der Lernenden, und probieren Sie Dinge zusammen mit den Kindern bzw. SchülerInnen aus. Halten Sie ein wenig Ungewissheit aus, wohin es Sie im gemeinsamen offenen Prozess treiben wird. Dann werden Sie mit den Kindern staunen. Können Sie es auch aushalten, dass Kinder sich Dinge in der Remida aussuchen, zu denen Sie keine Idee haben? Oder die Sie gefährlich finden? Oder daß Kinder mit den Dingen etwas ganz anderes machen, als Sie dachten?
Die Remida ist ein Ort voller Entdeckungen und Erfahrungen – für alle Altersgruppen. Auch die Erwachsenen kommen hier ins Staunen und erleben wieder Begeisterung – die entscheidenden Voraussetzungen für nachhaltiges Lernen. Die Hirnforschung belegt, daß unsere Emotionen wesentlich an Lernprozessen beteiligt sind. Loris Malaguzzi, früherer päd. Leiter in Reggio Emilia, wies in seinem Gedicht über die 100 Sprachen des Kindes darauf hin: … Das Kind hat hundert Sprachen und hundert und hundert und hundert. Neunundneunzig davon aber werden ihm gestohlen
weil Schule und Kultur ihm den Kopf vom Körper trennen. Sie sagen ihm: Ohne Hände zu denken, ohne Kopf zu schaffen, zuzuhören und nicht zu sprechen. …
Auch Pablo Picasso hat einen Standpunkt zum Finden: Ich suche nicht – ich finde.
Suchen – das ist Ausgehen von alten Beständen
und ein Finden-Wollen
von bereits Bekanntem im Neuem.
Finden – das ist das völlig Neue!
Das Neue auch in der Bewegung.
Alle Wege sind offen
und was gefunden wird,
ist unbekannt.
Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer!
Die Ungewißheit solcher Wagnisse
können eigentlich nur jene auf sich nehmen,
die sich im Ungeborgenen geborgen wissen,
die in die Ungewißheit,
in die Führerlosigkeit geführt werden,
die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen,
die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht
– menschlich beschränkt und eingeengt –
das Ziel bestimmen.
Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis
im Außen und Innen:
Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen,
der in aller Angst des Loslassens
doch die Gnade des Gehaltenseins
im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.
Im sich Einlassen auf offene Prozesse sind Kinder grandios: Beim Experimentieren gehört es für sie dazu – es sind die Erwachsenen, die immer schon vorher wissen (wollen), welche Erkenntnis ein Experiment bringt. Darum machen wir sie ja, für die Kinder, sie sollen ja schließlich etwas lernen. Man nennt sie auch die Ostereier-Fragen: Die Erwachsenen wissen ja, wo welches Ei versteckt ist und man will wissen, ob sie gefunden werden.
Begeben Sie sich mal in die Situation einem Kind ins Experiment zu folgen, halten Sie es aus, nicht vorher zu wissen was passieren wird. Viel Vergnügen dabei! Das hilft übrigens bei sämtlichen Veränderungsprozessen, ob in Unternehmen oder Gesellschaft.