REMIDA GESCHLOSSEN!

 

Ordnung ist das halbe Leben…

„Das sieht so ordentlich, aufgeräumt aus“, ist das was Besuchern in der Remida häufig auffällt und einen Hinweis auf ihre Erwartungen gibt: Durcheinander in staubigen Kartons. Das ist auch die häufigste Assoziation mit Recycling. Der Raum ist der dritte Erzieher ist ein geflügeltes Wort aus Reggio Emilia und somit Teil des Konzepts der Idee. In vielen Kitas oder anderen Einrichtungen gibt es häufig Ordnungssysteme in Form von angebrachten Fotos oder durchsichtigen Kästen, damit die Kinder die Dinge sehen können. Wenn… weiterlesen

 

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Interview aus der REmida 

„Was mache ich mit Dingen, die ich nicht kenne?“

Poka Dinge, die sie nicht kennenDer Erzieher wühlt lustvoll mit den Armen bis zu den Ellenbogen im Korb voller Folienstreifen. Er genießt das Rascheln, zieht am einzelnen Streifen – er nimmt kein Ende. Und noch einmal mit den Händen hinein. Davon einen ganzen Karton voll und dann die Kinder darin baden lassen, ist seine Idee. Er gewinnt durch seine eigene Lust eine Vorstellung davon, welche Wonne es für die Kinder sein mag.
Die Praktikantin streicht immer wieder mit den Händen über den roten Brokat, blättert um, streicht über die rote Seide dann über den rosa Samt.  Sie schlägt den Stoff wieder zurück zum Brokat, erfühlt die Unterschiede, vergleicht die Rottöne. Immer wieder. Ihr gefällt der hellrote Farbton, sie schaut, welcher dunkle Rotton dazu harmoniert. Ihr fällt der Farbverlauf auf. Welches Rot ist mehr orange, welches schon fast lila? Hier gibt es kaum richtig und falsch.
Die beiden sind in der Remida und suchen Materialien für ihre Krippenkinder aus. Sie stöbern zwischen den Resten und Abfällen aus Betrieben. Er ist völlig begeistert von den blauen Plastikstreifen, sie versinkt in den Musterbüchern mit Bezugsstoffen. Die beiden vollziehen hier nach, wie es den jüngsten Kindern täglich in jedem Moment ergeht: Sie stoßen auf Dinge, die sie nicht kennen, nehmen die Welt und ihre Dinge mit allen Sinnen wahr. Sie entdecken Ungewöhnliches und gehen dem neugierig auf den Grund. So wie Kleinstkinder forschend und unbefangen den verschiedenen Dingen ihrer Umgebung begegnen. Haben sie etwas gesehen, das ihr Interesse weckt, schauen sie genauer hin, betrachten die Dinge von allen Seiten, staunen und drehen den Gegenstand hin und her. Wie sieht das aus? Woran erinnert es mich? Ist es mir angenehm oder nicht? Was fasziniert mich?
„Das Auge schläft, bis es der Geist mit einer Frage weckt“, ist ein Sprichwort, das eng mit der Reggiopädagogik assoziiert wird. Ist die Aufmerksamkeit über die Augen oder die Ohren geweckt, kommt der Tastsinn zum Einsatz. Mit den Fingern, den Händen – manchmal ist mit den Armen die Kraft des ganzen Körpers gefordert. Da werden die Dinge befühlt, gedrückt, gezogen, gewogen, zu Boden geworfen… „Was passiert wenn…“ ist hier das Spiel. Aber wie oft, greifen wir in dem Moment ein mit den Worten: „Pass auf, das geht kaputt!“ Wie sollen denn Kinder die Erfahrung machen, was „kaputt“ bedeutet, wie das geht und was folgt? Und warum sind uns Erwachsenen die Dinge wichtiger als die Prozesse? Warum wollen wir Kinder vor ihren eigenen Erfahrungen bewahren? Und gleichzeitig wollen wir, dass sie alles lernen, nutzen jedes vermeintliche Zeitfenster für Programme zur Sprachentwicklung oder gar Fremdsprachen, musikalische Früherziehung, Naturwissenschaften etc. Mit jedem Programm koppeln wir jedoch das Lernen vom Spielen ab – dabei lernen Kinder durch spielen. Der Vorgang des Spiels ist so komplex und für Kinder harte Arbeit und sieht für  Erwachsene so leicht aus.
„Was ist das?“ – ein häufige Frage, die den Reflex der schnellen Antwort hervorruft. Mit einer Antwort ist jedoch meistens der eigene Erkundungsprozess zuende. Ergiebiger ist es, zurück zu fragen und zu eigenen Ideen heraus zu fordern. Das fällt uns Erwachsenen schwer. Sind wir doch etwas anderes gewohnt und meinen, den Kindern die Welt erklären zu müssen. Die Erwachsenen in der Remida versinken in einer angeregten Diskussion über „die silbernen Kringeldinger“. „Ich glaube, das ist aus Metall.“ „Nein, da sind die noch mal in grün, ich glaube, diese hier sind silber lackiert.“ „Guck mal, das hier ist Metall, das fühlt sich ganz anders an.“ „Brich’ das mal auf, das ist doch Holz.“ „Für mich sieht das aus wie getrocknete Algen.“ Lauter Thesen und Ideen, aufgestellt und wieder verworfen, geprüft und diskutiert. Ein konzentrierter, individueller Lernprozess. Wir besinnen uns auf unser Wissen, unsere Erfahrungen und kombinieren diese neu. Bei den Erwachsenen war die Debatte fast eine Stunde in Gang – soviel Zeit brauchen auch Kleinstkinder für die Auseinandersetzung mit der Welt und den Dingen denen sie täglich begegnen.
Sprachanlässe schafft auch das Musterbuch mit den Stoffen – ganz ohne Programm. Einfach hinlegen und beobachten was passiert. Zuhören, hinsehen – aufschreiben, fotografieren. Nebenbei bietet es auch noch Sinneserfahrungen.
Kinder sind Wiederholungstäter“ – immer noch mal wird ausprobiert, bis sie Gewissheit haben – und dann bereit sind für den nächsten Schritt. Rein und raus, vor und zurück, hin und her, auf und zu sind ihre Themen. Kleinkram umschütten von einem Gefäß ins nächste – dafür sind hervorragend die durchsichtigen Plastikflaschen geeignet. Hin und her blättern im Stoffmusterbuch und immer wieder die Oberflächen befühlen und vergleichen. Vor und zurück rollen auf den großen Papprohren, bäuchlings, rücklings. Hier bekommen Kinder ein Gefühl für ihren Körper und schulen das Gleichgewicht – das Organ dazu sitzt im Innenohr und ist unser 6. Sinnesorgan. Legen Sie mal für die Kinder, die gerade erste Schritte machen können, ein Stück dickes Tau auf den Boden. Es ist für die Kinder eine echte Herausforderung, ein Bein zum Drübersteigen anzuheben und einen großen Schritt zu tun, ohne die Balance zu verlieren. Diese Begeisterung, wenn sie es geschafft haben! Dann noch mal und noch mal. Tagelanges Spiel und reichlich Körpererfahrung. Irgendwann wird auch darauf balanciert und Tauziehen gespielt. Bis dahin muss man vielleicht auch mal Langeweile aushalten. Und auf die Eigeninitiative der Kinder vertrauen. Langeweile entsteht häufig zwischen der Sättigung an Erfahrungen und dem Sprung zur neuen Herausforderung. In Langeweile, das was Erwachsene so deuten, werden Erlebnisse verarbeitet, es sind die Denkpausen.
So ist die Remida eine Werkstatt für Selbstüberraschung. Sie bringt die Erwachsenen auf das eigene Kind zurück, weckt Erinnerungen und Geschichten. Hier gibt es auch für Erwachsene vermeintliche Alltagsmateralien, die es bei genauer Betrachtung dann doch nicht sind.
„Die wahre Entdeckung besteht nicht darin Neuland zu finden, sondern die Welt mit neuen Augen zu sehen.“ Marcel Proust

 

 

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